Manfred Pieske, Schriftsteller und Journalist

Der Frühling beginnt am Abend (Roman)

„Liebe und Hoffnung – das alte Thema der Literatur wird in den sechs Geschichten dieses Bandes vielfältig variiert. In der Titelgeschichte geht es um die Liebe als neue Hoffnung für einen Stückeschreiber, der mit seiner Kunst gänzlich am Ende ist. Manfred Pieske, Autor erfolgreicher Bücher wie Schnauzer, Biene zur Sonne oder Vom viel zu kleinen Glückspfennig,

sieht bekannte Vorgänge so, dass der Eindruck entsteht, er habe sie eben erst entdeckt. Er spitzt zu, scheut Härte und Konsequenzen nicht bei den handfesten Geschichten. So sucht Klenze, einer seiner Helden, der durch eine Hirnverletzung zum unberechenbaren Einzelgänger geworden ist, Wärme und Geborgenheit, aber er findet nicht mehr als käufliche Liebe. So gibt Tante Franz eine alte Frau, Haus und Hof dran, um ihrer Einsamkeit zu entrinnen, und erfährt tödliche Habsucht. Pieskes Helden sind auf der Suche nach Menschlichkeit, selbst dort noch, wo böse Proben aufs Exempel gemacht werden.“


Der Frühling beginnt am Abend, Mitteldeutscher Verlag, 202 Seiten, illustriert von Hans-Joachim Petzak


Pressestimmen

Manfred Pieske macht in seinen sechs Geschichten auf überwiegend stille, einsame Menschen aufmerksam, auf deren verborgene Wünsche und ihre Hoffnung, auf Liebe und Wärme. Der Erzähler trifft genau den Ton seiner Leute, er beobachtet unseren Alltag bis ins kleinste Detail, baut auf die Spannungen zwischen persönlichen Erwartungen und desillusionierenden
Ergebnissen. Er plädiert mit allem für mehr Freundlichkeit untereinander. WOCHENPOST am 13. 9.1985

Die härteste Geschichte ist die den Band beschließende. Der Ich-Erzähler wird von einem „Knaben“ bedrängt, der ihm die Geschichte einer zerfallenden Familie bietet. Dem Ich-Erzähler, der sich dieser „Belästigung“ gern entziehen möchte, wird allmählich bewusst, dass er helfen muß und dass er helfen will. Die Eindringlichkeit der Schilderung des Knaben bleibt nicht ohne Wirkung. Nach einer Hilfeleistung, die aus der Übergabe von Geld besteht, muß der Ich-Erzähler aber feststellen, dass die gesamte Szene inszeniert war, um ihm ein „Stück aus dem Lebe
n“ zu bieten. Pieskes Figuren suchen Kontakte,
Freundlichkeit und Liebe, aber sie finden sie nicht. Pieskes Erzählungen sind präzise erzählt. Oft signalisieren bereits die Eröffnungsätze die Gefahren, mit denen der Leser konfrontiert wird.

Zeitschrift „ICH SCHREIBE“ 4/1985

Freundliche Alltagsgeschichten, die gelassen, vielleicht sogar heiter von uns und unserer Welt erzählen, bietet dieser neue Band von Manfred Pieske keineswegs. Bittere Erfahrungen, enttäuschte Hoffnungen dominieren. Pieske führt Lebensresümees in beängstigend genauen Momentaufnahmen vor.

TRIBÜNE am 2. 8.1985

Die „Kleine Edition“ des Mitteldeutschen Verlages hält mit diesem Titel das Niveau, das wir von Anfang an erwartet, aber nicht immer durchgängig angeboten bekommen haben. Bereits die erste Erzählung rechtfertigt den Kauf des Buches.
In der „Tante Franz von dem Berge“ erleben wir einen Konflikt, der ans Gemüt geht. Hier läuft ein Seelendrama in fünf Akten ab. Auf eigenartige Weise wurde ich an jene westdeutsche Prosa erinnert, die mit Betroffenheit reflektierte, wie humanistische Ideale vor die Hunde gingen, als das Wirtschaftswunder zu fl
orieren begann. Was geschieht, wenn unsere
Wertvorstellungen deformiert oder abgebaut werden, das zeigt Manfred Pieske in seinen Geschichten. Unverkennbar gilt seine Sympathie den Vertretern von Eintracht, Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe. Daß er sie scheitern und mitunter im Strom von Alkohol ertrinken lässt, verweist auf die Verbesserungswürdigkeit bestimmter Verhältnisse. Schließlich nimmt die DDR
nicht nur im Sport eine Spitzenposition ein.

NEUE DEUTSCHE LITERATUR; Ausgabe 10/1985


Leseprobe

Längst ging er nicht mehr aus dem Haus, nur noch zum Einholen, und seine kleine Tochter hatte er zu den Eltern gebracht. Auch schlief Jülich nicht mehr im Bett, seit Hella fort war. Bis spät in die Nächte saß er im Sessel und sah fern und belauerte das Telefon. Einmal musste sie sich doch melden. Da gabs schließlich Telefone! Er drückte den Rücken fest gegen die Polster des Sessels, während er immer schneller über die flauschigen Stofflehnen strich. Da beruhigte ihn, machte besonnen, und nötig hatte ers. Denn lange, allzu lange waren die beiden, Dankert und Hella, inzwischen in diesem südamerikanischen Land. Nein, das konnte nicht gut gehen. Dort fackelte man bestimmt nicht lange, wenn man mitbekam, was sie vorhatten. Jülich brach der Schweiß aus, und er zog unterm Kehlkopf den Bademantel zusammen. Zum Glück wurde er abgelenkt. Palmen und ein goldgelber Strand unter azurblauem Himmel waren auf dem Bildschirm zu sehen. Aber erst die Hawaii-Gitarren, die irgendwo im Azurblau staken und deren Getön herabschwebte, machten die Stimmung perfekt. Jülich war dankbar. Für die Musik, und er saß bewegungslos da. Welche Farben, welche Schönheit. Langbeinige braungebrannte Körper kamen ins Bild und bewegten sich am Strand entlang, Frauenkörper mit schlanken Hälsen und großen oval geschnittenen Augen. O ja, soviel Schönheit konnte einem schon gut tun, die Welt war nicht nur ein Schlachthof. Ein Kreischen war zu hören, die Straßenbahn, die um die Ecke fuhr. Jülich trat ans Fenster und bog eine Leiste der Jalousie herunter. Er nickte, wieder solche alte Klapperkiste, einfach höllisch. Wie Hella das immer entnervt hatte, dieser spröde hohe Pfeifton, Eisen auf Eisen.