Manfred Pieske, Schriftsteller und Journalist

Traumfrau (Roman, 1988)

Notier deine geheimsten Gedanken, deine geheimsten Gefühle, tu einfach, als gehe es um einen anderen, rät der Doktor seinem Patienten Uwe Bulgrin, der als Konstrukteur Bedeutendes leistet, mit sich selbst jedoch nicht fertig wird. Immer wieder läßt er sich zu aggressiven Handlungen gegenüber dem anderen Geschlecht hinreißen - bis er seiner "Traumfrau" begegnet, hoffend, daß er mit ihrer Hilfe seine neurotischen Zwänge überwindet. Auf mehreren Erzählebenen weitet sich die psychologisch differenzierte Fallstudie zu einem spannungsvollen Roman. Alles, was die äußere und innere Realität des Helden ausmacht - bis hin zur Intimsphäre, bis hin zu seinen Träumen, kitscheigen Idealen, prägenden Kindheitserlebnissen -, wird hier unbeschönigt dargestellt.

Traumfrau: Mitteldeutscher Verlag Halle, 257 Seiten

Pressestimmen

Eine erschreckende Geschichte von einem Mann, der in einer ritualisierten Zwangshandlung seine Frau schlägt, seine graue Maus“, die das neurotische Arrangement zwischen beiden lange aufrecht erhält, bis sie eines Tages wider erwarten ihn verläßt.. Pieskes Roman ist ein Buch gegen die Verdrängung; und darum erspart er manches auch dem Leser nicht. Das
Buch handelt von den schlimmen Folgen der Verdrängung als einer Form, Konflikte abzuwehren statt sie zu verarbeiten.
Das Ergebnis: Szenen grotesker Missverständnisse – die Traumfrau entpuppt sich als Kitschfrau, der Kleidertraum als Traumkitsch – und Pieske kann die Geschichte nach den Höhepunkten komischen Verunglückens rasch zu Ende bringen.
Bulgrin verfällt wieder dem zwanghaften Ritual sadistischer Abreaktionen, und Loni lässt es sich gefallen, bis Blechschnauze eingreift. Da hat Loni aber schon das ritualgenutzteAkkordeon zerhackt.
DR MICHAEL FRANZ, Humboldt-Universität am 20. 5.1986

Für die Zentralgestalt und den Leser wird immer deutlicher, dass sich in der Neurose Konfliktunfähigkeit äußert. Er passt sich an und verleugnet eigene Ansprüche, um geliebt und anerkannt zu werden, bis er daran zu zerbrechen droht. Der leicht ironisierende Unterton, mit dem sich die Figuren selbst betrachten, verleiht dem Buch Leichtigkeit und Originalität.
NEUE DEUTSCHE LITERATUR (NDL); Ausgabe 10/1988

Der erfolgreiche Roboterkonstrukteur, im Privaten verfolgt von triebhaften Aggressionen, schafft sich im Unterbewusstsein mit seiner Fiktion der Traumfrau Rechtfertigung für gewalttätige, sexuell motivierte Handlungen gegenüber Frauen. Mit Hilfe eines Psychologen hofft er den Teufelskreis fataler Zwänge zu durchbrechen. Am zwingensten wird Pieskes Sprache
in den Traumdeutungen des Y. In klaren, poetisch dichten Bildern und Metaphern geht es Pieske um den ewigen Kreislauf menschlichen Seins.
BÖRSENBLATT DES DEUTSCHEN BUCHHANDELS; Seite 775/1988


Leseprobe

Irgendwo tickt etwas, bestimmt keine Uhr. Bulgrins Blicke hasten durch den spartanisch möblierten Raum. Das Ticken erinnert an ein Metronom. Er wirft den Kopf herum, guckt aus dem Fenster, um den saugenden, linsenkleinen Pupillen zu entgehn. Alles soll er aufschreiben? Ja, sagt der Doktor. Denn die Gruppengespräche hätten ihm nicht weitergeholfen, Sprechangst noch immer. Bulgrin sieht den Mann in Weiß groß an. Seine Augenbrauen fiebern, die Mundpartie verödet.
Ihm tut ja leid, was er mit Rosel macht, küsst sie danach, streichelt, und gestern ist ihm sogar nur nach Akkordeon gewesen.
Mitunter gelingts ihm wegzuspielen, was sich im Kopf staut. Doktor: Versuchs mal. Notier deine geheimsten Gedanken, deine geheimsten Gefühle. Tu einfach, als gehe es um einen andern, das hilft manch einem, vielleicht auch dir. Bulgrin: Und dann? Er hebt den Kopf, blickt in die Augen, die ihn beunruhigen. Zum Glück gleicht die Stimme des Mannes aus, behält eine Tonlage, klingt diskret, gleichmütig. Derweil umwieseln dessen Finger die Knöpfe des weißen Kittels. Und ein Lächeln, einladend. Und ein Griff nach Stift, nach Papier. Der Doktor strichelt eine Figur aufs Blatt. Doktor: Nun?
Bulgrin: Ja, gestern. Gestern hat er den Schlüssel wieder zurückgelegt auf den Tisch, auf die Kante, aber als Rosel zugreift, ist er schneller.
Nicht doch, sagt er, du musst nicht immer so ängstlich sein, das bringt mich bloß auf dumme Gedanken, und dann passierts wieder, dann bist du schuld, du. Gehen wir lieber an die Luft noch ein Weilchen.
Jetzt, fragt sie und zeigt zum Fenster, hinter dem es stockdunkel ist.
Jetzt noch, sagt er. Natürlich ahnt sie etwas. Doch ohne Fluchtweg, eingesperrt in den eignen vier Wänden?