Manfred Pieske, Schriftsteller und Journalist

Märchen vom viel zu kleinen Glückspfennig (Roman)

In diesen heiter-satirischen wie bitter-ernsten Kunstmärchen geht es geradezu kriminell zu. Ein junger Mann wird in einen Glückspfennig verwandelt. Ein Spatz sitzt auf dem geraubten allmächtigen Diamantwurm und gefährdet das Zusammenleben der Vogelwelt. Ein König will dank des gedankenlesenden Fingertupfes einer Hexe erfahren, was seine Untertanen

wirklich denken, und er tauscht zu dem Zweck jene Gabe gegen sein Augenlicht ein, ein fataler Handel, den er schnell wieder rückgängig macht: die Macht und die Wahrheit werden sich bei ihm auch künftig ausschließen. Diese und andere wundersame Begebenheiten mit verborgenem Sinn und Hintersinn zielen in freundlicher Ironie auf unsere kleinen und großen Schwächen.




Märchen vom viel zu kleinen Glückspfennig, Greifen Verlag Rudolphstadt, 187 Seiten illustriert von Regine Grube-Heinecke


Pressestimmen

Pieskes Erzählweise behagt mir. Sie ist gleichweit entfernt von archaischer Betulichkeit wie von moderner Sachlichkeit und hat doch so viel von beidem in sich aufgenommen, um die Transponierung von Realität in die Welt des Märchens gelingen zu lasen, ohne dass sie in jeder völlig unterginge. Man merkt dem Autor die Lust am Fabulieren an, und das fördert beim Leser die Lust, ihm zu folgen auf seine fabulösen Trips.

Karl-Heinz Berger, 13.4.1980

Bereits in der Titelerzählung „Vom viel zu kleinen Glückspfennig zeigt sich Manfred Pieskes Vermögen, Wesentliches transparent werden zu lassen. Es geht um die Fähigkeit und Notwendigkeit, sich Dinge zu wünschen, die uns nicht in sie aufgehen lassen, damit wir uns schöpferisch entfalten können. Eine weise Moral fürwahr, denn das kinderlose Ehepaar im Glückspfennig-Märchen, das sich in der Reihenfolge frische Erdbeeren, eine Villa, Grund und Boden dazu, ein Auto mit Garage, die Inneneinrichtung ihres Hauses und schließlich zwei Figuren aus purem Gold mit ihrem Konterfei wünscht, hat es verdient, am Ende selbst zu seelenlosen Figuren zu erstarren. So ist auch das „Märchen von der Krähe mit dem himmelblauen Rock und dem weißen Stehkragen“ keinesfalls aus der Welt. Eine schönen Tages wird ein Kriminalbeamter von der Krähe Kra-Kra beauftragt, den gestohlenen, in der Vogelwelt Frieden stiftenden Diamantwurm wieder herbei zu schaffen. Zur Erledigung seiner Aufgabe wurde er in eine Krähe mit himmelblauem Rock und weißem Stehkragen verwandelt und zur Erkundung losgeschickt. Sein Erscheinen glich großen Staatsbesuchen, und er ertappte sich mehr und
mehr, wie er losschwadronierte über seine Glücksbringerschaft. Als er rein zufällig den Diamantwurm beim Oberspatzen entdeckte, meldete er Kra-Kra den Fund nicht. Er verzichtete auf Belohnung und Rückverwandlung in Menschengestalt, weil ihm sein neuer Status zur Natur geworden war. In den Märchen vertraut der Autor voll seinem Fabuliertalent, verfügt frei über die vorgegebenen Erzählmuster und Märchenhelden, ist der gesellschaftlichen Realität künstlerisch dicht auf den Leib gerückt.

Buchpräsentation im Rundfunksender DDR II

Wer gern zwischen den Zeilen nach Hintergründigem sucht, wird an diesem Büchlein seine Freude haben. Der Autor lässt die ganze Personage der Märchen aufmarschieren: Hexen und Zauberer, Fuchs und Hase, Gnom, König, Riese, Zwerg und viele mehr. Auch Wortwahl, Satzbau und sprachliche Wendungen sind bewusst jener alten beliebten Erzählform angeglichen. Das
ist konsequent, weitestgehend gekonnt und mit offensichtlichem Spaß gehandhabt worden. Und der überträgt sich auch auf den Leser.

Margot Zielinski, WOCHENPOST vom 25.12.1981 Pressestimmen

Leseprobe

Nachdem eines Tages der Erste Edelmann den Thronsaal betreten hatte, warf er sich ergeben auf die kostbaren Teppiche, verweilte etliche Zeit mit der Stirn auf dem Flausch und pries den König in einer wohltönenden Rede. Danach tat er kund, was für ein Glück dem Königreich widerfahren wäre. Seine Hände ineinander gelegt, hob er die Arme und rief: „Edler König, Sie werden in einigen Monden auf Ihrem Schoß unser aller Thronfolger wiegen können, meine herzlichste und ergebenste Gratulation!
Den König überraschte die Nachricht, hatte er die Königin doch seit mehr als sechs Monaten nur noch während der Tafelzeiten zu Gesicht bekommen. Dieser Umstand und die Botschaft, die sich miteinander schwerlich vertrugen, versetzten ihn in ein ungläubiges Staunen, ja alle Müdigkeit war verflogen, sobald er von seiner Vaterschaft gehört, und er fragte: Du treuester meiner Diener, ich will nur hoffen, dass du mich nicht mit meinem Kater verwechselst.
Ohne jedoch eine Wimper zu rühren, sprach der Erste Edelmann darauf sehr ernst: Das ist allzu wahr, auch Euer Kater wird wieder einmal Vater, hat er neulich doch meine beiden kostbarsten Katzen geschwängert. Euer Kater ist im Katzenmachen in der Tat ein wahrer Meister. Dies jedoch soll nicht der Gegenstand der Audienz nun sein, die Ihr mir gewährt. Ich bin gekommen, um untertänig teilzuhaben an Eurem Vaterglücke.
So viel Festigkeit in Stimme und Auge war vor des König Thron selten. Wer derart vor ihn hintrat, so dachte der König, der konnte nur die lautere Wahrheit an sein Ohr bringen wollen, und er durchforschte nun doch sein
Gedächtnis, ob nicht eine Lücke darin wäre. Wie ein Blitzstrahl war da eine Erinnerung in seinem Kopf. Zum allerletzten Mal hatte er das Lager mit der Königin in der Nacht seines sechzigsten Geburtstages geteilt, und der
lag mittlerweile über zehn Monde zurück. Des Königs bemächtigte sich ein zweiter Gedanke, und dies an einem einzigen Tage. Demnach, dachte er weiter, spricht der Erste Edelmann die Unwahrheit mit Ergebenheitsmiene
hinauf zum Thron, wo ich, Seine Majestät, gutgläubig auf alle höre. Dies soll anders werden – der dritte königliche Gedanke an dem Tag, und seine Zähne rieben grimmig aufeinander.