Manfred Pieske, Schriftsteller und Journalist

Luftschlösser (Erzählung)

„Denn wovon lebt der Mensch?“ So singt Hanns Luft, wenn es ihm nicht besonders gut geht. Konfrontiert mit dem Tod, denkt er über den Sinn des Lebens nach. Zwei Jahren bleiben ihm noch, eine kurz bemessene Zeit, die
er zu nutzen gedenkt, um etwas zu hinterlassen, das „zählt“. Er bricht eine Leben verlängernde Kur ab, um eine dringend benötigte Maschine wieder zum Laufen zu bringen. Beide, Mensch und Maschine, halten Zwiesprache.
Beide sterbenskrank, wollen in der Manier eines Sisyphus-Aktivismus für die Gesellschaft „da sein“ und verlieren darüber sich selbst aus dem Blick. Dies Debütbuch erzählt, auf mehreren Ebenen, eigenwillig, knapp und assoziativ von Lebensentwürfen, Hinterlassenschaften und Selbsttäuschungen.


Luftschlösser (Erzählung), Hinstorff Verlag Rostock, 142 Seiten

Pressestimmen

Eine nachdenkliche und poetische Geschichte zu einem ernsten Thema: Wie soll sich ein Mann um die Vierzig verhalten unter der Gewissheit, dass ihm seine Krankheit nur noch zwei Jahre Leben gestattet? Die vom Arzt verordnete mehrmonatige Kur in einem märkischen Städtchen tritt Hanns Luft unter dem Vorwand an, dort in Ruhe seinen Roman, seine Luftschlösser
über einen gewissen Ludwig Amsel, schreiben zu wollen, eine Gestalt, hinter der sich Lufts zweites Ich verbirgt. Kunstvoll verquickt die Erzählung verschiedene Handlungsebenen. Eine liebenswerte, auf rührende und mitunter auch skurrile Art tapfere Gestalt ist dem Autor hier gelungen.
NATIONALZEITUNG Berlin in 12/1975

Die Erzählung – und darin liegt ihre Kraft – lässt nicht nur die einseitig-moralisierende Schlussfolgerung zu: leb mit hundert Jahren so, als hättest du nur zwei, sondern auch die in gelösterem Lebensgefühl wurzelnde Umkehrung: wenn es nur zwei Jahre sind, leb, als hättest du hundert!
NEUE DEUTSCHE LITERATUR; 5/1977

The heroes of Manfred Pieske´s Luftschlösser an Joachim Nowotny´s Ein gewisser Robel seek refuge in the imaginations and if both are brought back to their responsibilities in the end, if was nevertheless the fictional realm that remained memorable, was frei übersetzt heißt: Die Helden von Manfred Pieskes Luftschlösser und Joachims Nowotnys Ein gewisser Robel suchen
im Imaginären Zuflucht und wenn beide am Ende auf ihre Verantwortung zurückgeführt werden, war es nichtsdestoweniger das erdichtete Reich, das erinnerungswert verblieb.
J. H. Reid in Literaturmagazin Nottingham 1977

Leseprobe

Die kleine Stadt ist weggerutscht, Sandhügel haben sich vor rote, weithin leuchtende Ziegel geschoben. Hanns Luft wendet sich ab. Unter gelbem Strohhut trottet er über die Landstraße, hinein in einen Sandweg, der sich wie eine fette Schlange durch die Felder windet. Flüchtig fassen seine Augen märkische Landschaft: den Waldsaum am Horizont, die Roggenflur, dann den Regenbogen, der vor grauschwarzem Himmel schwillt. Schönes Ding, denkt er, müsste man dran schaukeln, und schiebt den vom Regen durchnässten Strohhut ins Genick.
Im Aprilwind taumelt der Roggen. Luft geht in die Hocke und peilt über ihn hin. Er nestelt an der Joppentasche. Zum Vorschein kommt ein Zollstock, gelb wie der Strohhut, ebenso abgeschabt und ausgebleicht. Statt aber die Höhe des Korns zu messen, rupft er eines der Pflänzchen, hebt es hoch über die Augen und beäugt den faserigen Wurzelballen, von dem Sand abtropft.
„Wieder zwei Zentimeter, Herr Doktor!“ wird er morgen rufen. „Det is´n Ding, wat?“ Während die Saugnäpfe der medizinischen Geräte an seiner Haut haften, summen, in ihn hinein zu horchen. Und Eisblum wird sich, das Berlinisch überhörend, erfreut zeigen: „Zwei Zentimeter?“, wo sie beide wissen: die Roggenhöhe als Blindekuhspiel. Luft schnaubt. Im vergangenen Oktober hatte sein Hausarzt in Berlin gerufen.“ Ach Mensch, Sie werden hundert Jahre!“ Luft schleudert das Pflänzchen fort, hinein in das Feld. Ohne gemessen zu haben, klappt er den Zollstock zusammen und drückt sich aus den Knien hoch. Die Hände in den Taschen seiner Joppe, wandert er auf dem Sandweg davon.