Manfred Pieske, Schriftsteller und Journalist


Biene zur Sonne (Roman)

Ein kleines Dorf im Erz
gebirge, eine kleine Pension, ein strenger Winter mit viel Schnee. Zusammentreffen dort Leute mit sehr verschiedenen Biografien und Weltsichten. Denen wird eines Morgens mitgeteilt: Ein schlimmer Virus hat für den Totalausfalls des Personals gesorgt. Statt jedoch abzureisen, beschließen die Urlauber, zu bleiben, sich selbsthelferisch zu versorgen. Eine Urlauber-WG entsteht , die in Zauberberg-Atmosphäre voll Zuversicht ans Werk geht und sich wie eine neue, modellhafte Menschengemeinschaft auf demWeg in eine bessere, kommunistische Zukunft fühlt., doch bald konfrontiert wird mit den eigenen moralischen Unzulänglichkeiten. In der Situation eine Entdeckung: Lauter tote Bienen an einem Hang. Von der Sonne dazu verführt, viel zu früh auf Nektarsuche zu gehen, sind sie geblendet, abgestürzt. Das berühmte Lied „Brüder zur Sonne, zur Freiheit, Brüder zum Lichte empor“ verkürzt sich in dieser Erzählung des Jahres 1976 ahnungsvoll zu „Biene zur Sonne“.


Biene zur Sonne (Erzählung) Hinstorff Verlag Rostock, 159 Seiten


Pressestimmen

Das Ferienheim im verschneiten Wald erweist sich als eine Art Mini-Zauberberg. Die vom Atmosphärischen her sehr dichte Erzählung erhält hier ihre Wärme, ihr unverwechselbares Gesicht. Das Problem der Glücksuche wird durch das Titelmotiv poetisch vertieft: Wiederholt beobachtet der Erzähler, wie in der verschneiten Winterlandschaft sonnenhungrige Bienen die Nestwärme des schützendes Stockes verlassen und nach kurzem Flug im Schnee sterben. Man fühlt sich gemahnt an Goethes berühmtes: „Den lieb ich, der Unmögliches begehrt“, denn „unmöglich“ nennt der Autor nun einmal die Verwirklichung der Liebe zwischen dem Helden und Berthe.
Radio DDR II am 30.10.1976

Eine Liebesgeschichte auf den ersten Blick, auf den zweiten eine Erzählung mit weltanschaulichem Tiefgang, denn hier angelt sich eine nicht einen, sondern stürzt in den Tod, was zu früh startet, sich von goldenen Sonnenschein zum Frühlingsflug in die vereiste Winterlandschaft verleitet. So geht`s den Bienen und so endet bildhaft Scherenbecks Kommune-Urlaub, eine Notgemeinschaft von Urlaubern, die keine Kommune brachte. Und Berthe Görgeleits Urlaubsliebe? Der Schluss bleibt offen, aber die Vergleichbarkeit der Bilder stimmt traurig.
Radio DDR II


Leseprobe


Die Bahn zuckelte in Wälder hinein, durch Tunnel und vorbei an hügeligen Ebenen. Sie kroch höher und höher. Und endlich Schnee! Es kam mir vor, als wollte die Fahrt kein Ende nehmen; alle drei, vier Kilometer hatte der Zug Aufenthalt, und von Ziegenburg sah ich zunächst nur Schotter, Schnell und Gestein. Überhaupt war der erste Rundblick ernüchternd, nicht weit von einem Felsen entfernt, entdeckte ich eine Art Holzhütte: das Bahnhofsgebäude, und davor stand eine alte Frau, die dem Lokführer die Fahrt freigab. Ich näherte mich ihr. Sie war freundlich und erklärte umständlich, wie das Ferienheim zu erreichen sei.
Unsicher tappelte ich auf dem vereisten Weg in die angegebene Richtung, und als ich den Brückenbogen passiert hatte, konnte ich in das Tal schauen. Unter mir lag winzig ein Dorf – und ringsum strebten Fichten zur Kammhöhe. Ich entdeckte auch ein rot leuchtendes Band. Da griff ich zu Koffer und Skiern und lief neugierig die aschefarbene Paßstraße abwärts und bog in den Trampelpfad ein, den mir die alte Frau beschrieben hatte.
Das rote Band war ein Bach, in dem die Abwässer einer Färberei schäumten und gleich dahinter lag das Ferienheim. Um zu dem rechteckigen, nicht sehr geräumig wirkenden Haus zu gelangen, überquerte ich eine Brücke. In dem Augenblick öffnete sich die Tür, und zwei alte Leutchen erschienen. Sie begrüßten mich mit Handschlag. „Na“, sagte der Alte und lächelte, wobei sich seine Augen zu Sehschlitzen verengten; ganz selbstverständlich klang die Begrüßung, und als würden wir uns seit Jahrzehnten kennen, fügte er hinzu: „Na denn.“ Dabei griff er nach meinem Koffer. „Na denn“, rief auch seine Frau, nur zaghafter.
Mit dem Gepäck in der Hand erklomm der Alte vor mir die steile Treppe. Bevor wir jedoch die erste Etage erreicht hatten, noch auf halber Höhe, drehte er sich schwerfällig in der Hüfte und sagte: „Gestatten, Bamm.“