Manfred Pieske, Schriftsteller und Journalist

Messalina (Roman, 1991)

Das ist die Geschichte einer Frau, ihrer unersättlichen sinnlichen Gier, die die Kaiserin und 'Mutter des Landes' zur Hure, zur Figur im Spiel von macht- und besitzbesessenen Intriganten am Hof des Claudius macht. Das ist die Geschichte des Kaisers, des Sonderlings, ihres Mannes, den sie einen Schlappschwanz nennt, dem sie zwei Kinder gebärt, mit zahllosen teils gezwungenen, teils freiwilligen 'Liebhabern' hintergeht, in dessen Abwesenheit sie sich mit Gajus Silius, dem wirklichen Geliebten vermählt und dafür mit dem Leben büßt.

Das ist schließlich die Geschichte des freigelassenen Vertrauten des Claudius, des Griechen Narcissus, dem bei dem Wort 'Macht' die Augen feucht zu werden pflegen, und seines Sklaven Sidonius, den die Hoffnung auf Freiheit und schmalen Reichtum in Schuld und Tod treibt. Der Autor entwirft ein faszinierendes figuren- und szenenreiches Bild des Römischen Hofes zur Zeit des Caligula und Claudius, von seinen blutgen Verschwörungen, wilden Orgien, grausamen Gladiatorenkämpfen, von Treue und Verrat und immer wieder von bedenkenlos mißbrauchter mörderischer und selbstmörderischer Gewalt im Rausch der Macht und Taumel der Lust.




Messalina, Morgenbuch Verlag, 241 Seiten


Pressestimmen


Der Sittenroman aus dem alten Rom handelt von Opfern, die zu Tätern werden: Manfred Pieske erzählt von der Macht, die Täter hervorbringt und am Ende zugrunde gehen lässt. Die Wende hat Pieskes Sicht der Gesellschaft nicht verändert. Sein Fazit auch heute: „Macht macht asozial.“ Der 54jährige Bernauer, der seit 1986 in Stahnsdorf lebt, hat den 241-Seiten-Roman um Messalina zur Zeit der Kaisers Claudius schon vor vier Jahren abgeschlossen, nachdem er ebenso lange daran gearbeitet hatte. Mit der Wende glaubte er, am Leser vorbeigeschrieben zu haben. Doch: „Die Mechanismen funktionieren noch immer.“ Pieske sieht sich als Beobachter des einzelnen in der Zwangsjacke der Gesellschaft.
BERLINER MORGENPOST vom 24.1.1992


Nach mehreren Romanen und Erzählungen, die im unmittelbaren Gewand der Gegenwart erschienen, zuletzt in dem viel und kontrovers diskutierten Roman „Traumfrau“, greift Manfred Pieske hier zum historischen Stoff. Messalina oder der kleine Tod. Der Autor wählt eine Zeit des Scheiterns einer Epoche. Das Imperium Romanum zehrt von besseren Tagen.
Ob Tiberius, der sich noch als großer Nachkomme des göttlichen Augustus hochstilisieren konnte, Caligula oder Claudius, dessen monströse erste Gattin Messalina war, sie ähneln wie ein Totschläger dem anderen. Vom Plebs und Rittern jeweils als Hoffnungsträger mit Erleichterung begrüßt, verflogen schnell die Illusionen, floß wieder Blut, wucherte Korruption und Sittenlosigkeit.
Doch bei aller Opulenz der Grausamkeiten und des sinnlichen Frevels speist sich Manfred Pieskes Erzählinteresse aus anderer Quelle. Hinter dem Stoff Rom sucht, zieht und spannt er die Fäden einer intelligenten Gang von jungen Leuten im zweiten, dritten Glied, die ihr Süppchen kochen, ihre Aktionen einleiten und die Puppen tanzen lassen. Eine Mafia also, von
deren Spiritus Rector der Autor sagen lässt: „Mein Herr überlebt alle, er wird immer leben.“ Dieser Herr heißt Narcissus, ein Freigelassener Grieche und hochstehender Spießgeselle von Pallas und Callistus, der bereits Schatzmeister bei Caligula war.
Sie sind es, die hinter den erlauchten Monstern der kaiserlichen Claudischen Familie ihre blutigen, raffgierigen Spielchen treiben, ihre kaltblütigen Interessen befördern – bis hin zum übereilig vollzogenen Todesurteil an Kaiserin Messalina, die in Abwesenheit des Kaisers Claudius die aberwitzige Idee verfolgte, sich mit ihrem Buhlen Silius zu vermählen.
Zum Zwecke des Einfluß- und Machtgewinns gab besagter Narcissus seinen Leibsklaven Sidonius in die Nähe von Claudius und Messalina, denen dieser fortan zu dienen hat. Er ist schön, mannhaft, gebildet und seinem Herrn ergeben, obwohl der ihn in jeder Weise missbraucht. Er ist Pieskes erzählerisches Medium, denn er, dem man die Zunge herausgerissen hatte,
um seiner Verschwiegenheit sicher zu sein, schreibt seine Erlebnisse und Beobachtungen auf, zwiefach sogar, er kann auf Freilassung hoffen, auf bessere Tage und die historische Durchsicht. Doch er, der als kleines Rädchen ins Sicherheitssystem eingepaßt ist und durchaus weder liebenswert noch bedauernswert , eine schöne Kreatur, die wie sein Herr zu morden und
zu integrieren versteht, der überall hinhält, auch wenn er Gemüt hat, er wird seine eigenmächtigen Niederschriften mit dem Leben bezahlen, mit der endgültigen Ehre, Kaiser Claudius als Diener ins Schattenreich vorausgeschickt zu werden. „Solche wie du bewegen nichts“, gibt ihm sein Herr und Mörder zynisch mit auf den letzten Weg. Aus der Sicht des Sklaven, der aufmerksam durch die gesellschaftlichen Ebenen wechselt, lässt sich das gesamte Panorama anschaulich entrollen.
Daß es Manfred Pieske weniger um Roma geht als um Borrussia, unserem Preußen, um die Pervertierung von Werten, Schamlosigkeiten der Macht und ihrer höchst lebendigen Schranzen und cleveren Jungs in der zweiten, dritten, vierten Reihe, um die anonymen Kellerhocker, Doppelposten- und Telefonspanner. Das macht den Großteil der durchaus zwiespältigen
Lesefreude aus und auch den bitteren Beigeschmack der sorgenvollen Vermutung des Sidonius: „Mein Herr überlebt alle, er wird immer leben.“
Hinnerk Einhorn im Radio DDR zwei, 1990


Leseprobe

Ohne Zunge kannst du überleben. So sagt mein Herr immer, und ich applaudiere dann unverzüglich. Welch ein gnadenreicher Zuspruch! Welch ein Glück, daß mir dies überflüssige Ding in jungen Jahren herausgerissen worden ist. Denn hätte mich Narcissus sonst gekauft? Niemals wäre ich zu dem Amt eines Kämmerers aufgestiegen. Des verderblichen Redeflusses beraubt, kann ich nicht jedermann freiweg antworten. Ich gehöre zu den Verschwiegenen, Verlässlichen. Oder sind nicht überall Stimmen, die unsereins erreichen, versuchen? Und wer verspürt nicht zuweilen das unanständige Bedürfnis, den fauligen Atem seines Herrn faulig zu nennen? In Gegenwart Dritter sollte allein das Auge sprechen, offenbart es doch ebenso treffend Dankbarkeit, Freude, Trauer. Zwischen meinem Herrn und mir war das vielmals erprobt. Um kein geringer, gemeiner Sklave zu bleiben, habe ich mein äußeres und inneres Ebenmaß in Zahlung zu geben. Täglich halten Schmerz und Beglückung Hochzeit. Tagsüber bin ich der liebe Diener und nachts die liebe Hure, die ihrem Beglücker nach vollbrachter Tat am liebsten ein Siegerschleifchen ums Schwänzlein winden möchte. Derlei Tugend zahlt sich aus. Ich bin angesehn, Ich bin sogar vermögend. Eines Tages sagte Narcissus zu mir: „Im Testament ist verfügt, dass du nach meinem Tode frei bis, frei und ein bisschen reich.“