Manfred Pieske, Schriftsteller und Journalist


Schnauzer (Roman, 1980)


Ratlos sitzt ein Mann in der Kneipe. Nicht einmal eine Stunde ist sei dem verhängnisvollen Gespräch mit seinem fast allmächtigen Chef vergangen, und die Chancen, aus der Sache heil heraus zu kommen, stehen eins zu zehn. Er wird das Opfer, der Sündenbock sein; die „Verhältnisse“ geben es nicht besser her. Der Mann gerät in eine existentielle Krise und läuft Amok, fühlt sich verfolgt von einem Doppelgänger – von Schnauzer. So dessen Spitzname zu DDR-Zeiten an der Arbeiter- und Bauernfakultät, als er „eigenmächtig“ auf Individualität, auf unerwünschtes Andersein aus ist. Er wird gefeuert, findet keine Arbeit. Darauf rasiert er sich seinen mächtigen, widerborstigen Schnauzbart ab, passt sich an, macht Karriere und verliert darüber seine Identität. Was bleibt, so sein Fazit: „Eine Rinne voll von Schlacke“. Dennoch will er sich nicht unterkriegen lassen, kehrt zurück ins Joch des DDR-Alltags und hofft aufs Überleben. Wieder stehen die Chancen eins zu zehn.

Schnauzer, Hinstorff Verlag Rostock, 254 Seiten

Pressestimmen

Pieske macht beklemmend, zuweilen bis an den Rand der Selbstzerstörung, Persönlichkeitsverluste spürbar in seinem Roman. Da werden wie mit dem Seziermesser Rücksichtslosigkeit und Inkonsequenz, moralischer und charakterlicher Verfall von einer kritisch-kühlen Beobachterstellung her freigelegt. Gewiß wird diese Bestandsaufnahme Nachdenken, Betroffenheit durch Betroffensein auslösen.
BZA vom 29.8.1980

Ein Mann, Hirzek mit Namen und von Beruf Ökonom, erhält von seinem Vorgesetzten einen nahezu unerfüllbaren Auftrag.
Sehr viel steht auf dem Spiel. Auch für ihn. Er muß dabei Kopf und Kragen riskieren. In dieser Situation sieht er sich mit der einen Vergangenheit konfrontiert. Einstmals, in den 50er Jahren an der ABF Arbeiter- und Bauern-Fakultät), trug er, mutig und begabt, wie er war, den Spitznamen „Schnauzer“. Nun, in schwieriger Lage, sieht sich Hirzek diesem Vor-Bild
gegenüber, dem „Schnauzer“ der damals buchstäblich auf die Schnauze fiel und danach glaubte, sich anpassen zu müssen. Er macht sich auf die Suche nach der eigenen Identität.
VOLKSSTIMME MAGDEBURG am 24.9.1980

Manfred Pieske hat seine Geschichte, aus welchen Gründen auch immer, auf das Niveau einer Wild-West-Story heruntergeschrieben. Alles bleibt an der Oberfläche, die Partner Hirzeks sind ausgemachte Lumpen, die grob und plump verfahren und mit aufdringlichen Äußerlichkeiten beschrieben sind. …. Dies muß …. zum Zynismus bei der Darstellung von Menschen und ihren Beziehungen geraten, selbst dort, wo man dem Erzähler gern beim Nachdenken über Wesentliches folgen möchte.
BERLINER ZEITUNG vom 30.10.1980

Mit genauem Gespür für die gesellschaftliche Realität unseres Landes schildert der Autor sowohl die äußeren Bedingungen für ein Versagen – der aus Überlastung kommende Hang zur Gleichgültigkeit, Tendenzen von Konsumdenken und die feinen Spuren von Korrumpierbarkeit – als auch das ganz individuelle Unvermögen Hirzeks. Dieses Realitätsbewußtsein ist das
tragende Element des Buches.
LIBERAL-DEMOKRATISCHE ZEITUNG, Halle am 15.11.1980

Wie Hirzek sich auch entscheiden wird, am Ende wird immer nur er der Gelackmeierte sein….Für Pottl (seinen Chef) ist Hirzek kein guter Mensch, sondern ein gutes Opfer… Pieske überzeugt durch die Gestaltung solcher Helden wir Pottl und Hirzek, die wie aus einem Guß wirken. Sie sind gut und böse, ziehen uns an und stoßen ab. Wenn wir über sie nachdenken, denken wir über uns selber nach. … Sisyphos fällt einem ein, auch Hemingways alter Mann: „Man kann vernichtet werden, aber man darf nicht aufgeben.“
SINN UND FORM, Ausgabe 4/1981

Leseprobe

Die pralle Aktentasche in der Hand, geht Hirzek über die Kreuzung am Bahnhof, ohne auf die Autos zu hören, ihre quietschenden Bremsen. Er dreht sich um und blickt hoch zu S-Bahn, steht da, als wollte er den Leuten an den Fenstern winken. Er sieht zu Boden, die Tasche zieht links herunter. Sofort erinnert er sich, was sie so schwer macht.
Hirzek biegt in die Hauptstraße ein. Vor ihm laufen Leute. Er hat keinen Schwung, seine Hacken kratzen über die Steine.
Er sehnt sich nach Bäumen und Stille, ohne Menschen. Wieder biegt er ab, in Richtung Wäldchen. Hinter ihm verebbt der Lärm. Er wischt sich über die Stirn. Nicht einmal eine Stunde ist vergangen seit dem Gespräch mit Pottl.
In einer abgeschiedenen Straße kommt ihm ein Mann entgegen. Der sieht ihn durchdringend an – mit langem, schrägem Blick, bis der tote Winkel da ist und sie aneinander vorbei sind. Hirzek bleibt vor der Fensterfront eines Möbelgeschäftes stehen. Ihm ist, als kenne er den Mann irgendwoher. Am liebten würde er ihm folgen, starrt in die Fensterscheiben. Aus der Tiefe des spiegelnden Glases sieht er den Mann wieder auf sich zukommen, auf dem Kopf eine Baskenmütze und unter der Nase einen Schnauzbart. Die Gestalt winkt ihm zu. Hirzek wirft sich herum, was ihm nicht leicht fällt wegen der
Aktentasche. Weit und breit kein Mensch.
Als Hirzek den schmalen Pfad erreicht hat, der hineinführt ins Wäldchen, beschleunigt er seine Schritte. Um sich gegen das Entsetzen zu wehren, das ihn zu befallen droht, blickt er nach der Abendsonne. Klein und kraftlos ist sie schon. Als läge sie in einem Tiegel und wollte vor seinen Augen verdampfen. Hirzek stolpert über eine aus dem Waldboden herausragende Baumwurzel. Er fällt. Die Arme vom Leib abgespreizt, starrt er in die Brennesseln, die am Wegrand wuchern, wo seine Aktentasche nun liegt. Er schnauft ärgerlich, rappelt sich auf, säubert Handflächen, Hosenbeine, den Mantel, angelt er die
Tasche heraus und geht weiter. Erst als er an der Kneipe ist, verlieren sich seine fahrigen Bewegungen.
Im Raum stehen nicht mehr als drei Tische. Fast immer sind hier dieselben Männer anzutreffen. Und niemand wird laut, auch beim Bestellen nicht. Die Männer drehen ihre Gläser zwischen den Fingern und gucken abwesend hinein. Hirzek passt sich der Umgebung an, auch er guckt in das Bier. Seine Finger tasten nach einem Astloch unter der Tischplatte. Eine Gedankensperre. Die Gestalt, die er in der abgeschiedenen Straße gesehen hat, soll aus dem Kopf. Auch die Geschehnisse des Tages. Ihm wird heiß davon, und er reibt sich mit der Faust über die Stirn. Daß selbst Pottl sich nicht wehrt! Aber wer tut das schon, wenn Bigmesser die Finger im Spiel hat. Generaldirektor Bigmesser. Der Alte, von allen Big genannt, der Große, der
Größte.- Starrt der ihm durch seine dicken Geräte vor den Augen an, fühlt sich Hirzek hypnotisiert. Wieder ist alles da. Der Tag heute. Die Audienz bei Bigmesser.