Manfred Pieske, Schriftsteller und Journalist

Als Teltow neu erfunden wurde (Geschichten, 2010)

Respektlos und doch voll menschlicher Wärme erzählt Manfred Pieske von der kleinen Stadt Teltow und ihren Leuten. Es sind Geschichten, die sich nach der deutschen Wende zugetragen haben. Dabei schöpft der Autor, der in den 1990ern als "Rasender Reporter" des Teltower Stadt-Blatts unterwegs war, aus dem Vollen.


Der Reiz dieser Storys lebt vom Authentischen. Augenzwinkernd werden hier Geschichten erzählt, die aufeinander zu treiben, sich verketten und so ein querulantes, schillerndes Bild der Stadt Teltow und ihrer Akteure während der vergangenen 20 Jahre abgeben. Selbst die Namen ihrer Helden (wie Unhelden) sind nur dort verändert worden, wo sie die Betroffenen verletzen könnten. Der Hauptheld ist unterdessen das Städtchen selbst, das nach der Wende buchstäblich neu erfunden wurde und - stellvertretend für andere (ost)deutsche Provinzen - so lebensprall wie auch komisch zum Lesevergnügen einlädt. Welch eine Magie des dokumentarischen Erzählens.



Als Teltow neu erfunden wurde. Fünzig merkwürdige Teltower Geschichten und ein paar kuriose Zugaben, Zenkert Verlag Mahlow, 262 Seiten, ISBN-Nr. 978-3-936607-54-3, 14.80 Euro


Pressestimmen 2010/11

„Es heißt, das Leben schreibe die besten Geschichten. Bestätigt wird das nun auch durch Manfred Pieskes aktuelles Buch.
Der Autor, den es in den Neunziger Jahren in die Region verschlug, geriet beinahe unfreiwillig zum berufenen Zeugen einer ihm anfangs meist unverständlichen und später oftmals auch skurril anmutenden Lebenswelt der einstigen Ackerbürgerstadt.
Gut, dass Pieske dies festhielt, und jede Geschichte zu einer kleinen Perle werden ließ. Dabei ist ihm geglückt, mit einer Muschel ein ganzes Meer zu erfassen.“
BÄKE COURIER

„Mit spitzer Feder hat Pieske 50 Einzelteile zu einem Stück Zeitgeschichte zusammengefügt. Es sind Geschichten vom Versprechen blühender Landschaften, von Investruinen, persönlichen Tragödien und Triumphen – das deutsche Nachwende-Kapitel erzählt am Beispiel Teltows. Er schildert seine erlebte Sicht der Dinge und was man sich erzählte, wenn man unter sich war, beim Bier.“
POTSDAMER NEUESTE NACHRICHTEN

Teltow. Da saßen sie alle versammelt im Stubenrauchsaal, die Mächtigen von Teltow, die ehemals Mächtigen und die, die es gerne wären, und warteten auf ihre literarische Hinrichtung. Manfred Pieske hatte geladen, um aus seinem neuen Buch zu lesen. Der Saal war gerappelt voll, jeder, der befürchtete oder wusste, dass er in dem Buch namentlich genannt würde,
war gekommen, um bissige, amüsante und freche Anekdoten über die Stadt und seine Bewohner zu hören. Am Ende wurde niemand wirklich hingerichtet. „Ich wollte keine Kriegsfibel schreiben“, erklärte Autor Manfred Pieske, der seit 1991 über die Stadt Teltow berichtet. Es sind 50 wunderbare Geschichten aus den Zeiten nach der Wende, gespickt mit Seitenhieben auf die Teltower. Manchmal erinnern die Geschichten fast an Schildbürgerstreiche, aber insgesamt sind sie zum Lachen und Schmunzeln, und sie verursachen beim Leser das vorsichtige Herzklopfen der Hoffnung – darin vielleicht auch erwähnt und (nicht) hingerichtet zu werden.

MÄRKISCHE ALLGEMEINE

Nein, er beschönigt nichts, wenn er über Teltow schreibt, er hat den Blick für Details, wie ihn eben ein ehemaliger „Rasender Reporter“ des Teltower Stadtblattes hat. So muss man erst mal auf die Idee kommen, einen „Pinkelbuden-Report“ zu schreiben. Mit feinem Humor und einem Hang zur Ironie beschreibt Pieske eine Bedürfnisanstalt in Teltow, deren unwirtschaftlicher Betrieb der Stadt unvorhersehbare Kosten beschert und die deshalb nach einem Weg sucht, die Kosten zu senken. „Damit die Kosten künftig schmal bleiben konnten, wurde ein Dämmerungsschalter eingebaut. Und das Wasser pro Bedürfnis und Besucher wurde nun – dank mathematischer Berechnungen eines Fäkalien–Experten – nach dem Motto „Alle Bürger sind gleich“ mit elektronischer Gerechtigkeit zugeteilt.“ In einer seiner Geschichten erinnert der Autor an „Zicken-Schulze“, einen Ortsheriff Teltows zu Ostzeiten. Der kam zu seinem Spitznamen durch eine Ziege, die er in Ausübung seines Dienstes an eine geschlossene Bahnschranke band, die sich aber nach dem Passieren des Zuges mitsamt der angebundenen Ziege hob. Manfred Pieskes Texte in „Als Teltow neu erfunden wurde“ sind allesamt so flüssig, so lebendig geschrieben, dass es schwer fällt, das Buch wegzulegen, bevor man die sechzig kurzen Geschichten gelesen hat. Und mit ebendieser Lebendigkeit trug Jürgen Zartmann die „merkwürdigen Geschichten“ vor, was diese Buchpremiere zu einem kurzweiligen Unterhaltungsprogramm werden ließ. Horst Meyer sagte in seiner Laudatio: „Manfred Pieske hat eine Huldigung an Teltow geschrieben, eine Hommage an diese Stadt. Teltow kann sich glücklich schätzen, dass sie einen solchen Dokumentaristen hat.“
MÄRKISCHE ALLGEMEINE

Ich wollte endlich mal sagen, wie viel Vergnügen mir das Buch von Manfred Pieske bereitet hat. Und nachdenklich hat es mich auch gestimmt. Er hat ja einen ganz eigenen Stil und einen tollen Humor. Manchmal habe ich laut gelacht, dann wieder war ich auch deprimiert. Das ist ein Schlüsselroman (Buch), müsste eigentlich landesweit Leser haben. So anschaulich habe
ich noch nicht gelesen, was nach der "Wende" passiert ist. Wie im Kleinen so im Großen!
ANNE-KATHREIN TEUBNER; FRANKFURT/MAIN


Leseprobe

„Wo nur liegt dies Teltow?“ Das war eine Frage, die sich gar nicht gut anhörte. Weil sie dummerweise in Teltow gestellt wurde, und ich sagte: „Was weiß ich, irgendwo links vom Mond.“
Ja, so ist das gewesen, ich war unwirsch, gelinde gesagt. Und der Mann, der aus dem Dunkel kam wie aus dem Nichts, war da natürlich auch unwirsch, und er wollte mir ziemlich flott an die Gurgel. Aber was hätte ich sonst sagen sollen? Ich war hier ja auch fremd. Vor mir und hinter mir nichts als Straße. Weit und breit kein bisschen Zivilisation.
Fast war Mitternacht vorbei, als dieser Typ mit seinen zwei Weibern von sonst woher aufgetaucht war und nach Teltow fragte, obwohl er doch schon dort war. „Baby“, sagte der Mann so ruhig, wie es ihm nötig schien, zu mir, „bist du nun von hier oder bist du es nicht?
„Mich hat hier ein Taxi ausgekippt“, sagte ich, um nicht weiter Stunk zu haben. „Ja doch, das könnte hier Teltow sein.“
Die Weisheit stammte von einem Taxifahrer, der mich in Schönefeld als Zweitfahrgast mitgenommen und unmissverständlich geknurrt hatte: „Aber bloß bis Teltow, da ist Endstation.“ Ja, so hatte der gesagt, und so gab ich das nun weiter an den Mann mit seinen beiden Weibern, die mit ihren langen Hälsen an Lamas erinnerten.


„Aha“, sagte der Mann. „Wir müssen nach Seehof. Das soll was mit Teltow zu tun haben.“ „Nach Seehof?“ „Ja. Das soll hier sein, irgendwo.“


„Nie gehört“, sagte ich, und das hatte ja seine Richtigkeit. Aber der Mann misstraute mir, drehte sich einmal um sich selbst. Solange er sich jedoch umsah, nirgends ein Wegweiser. Nirgends ein Mensch, der Auskunft geben könnte, die Sache war aussichtslos. Hier konnte man sich nur auf die eigenen Füße verlassen. „Komm bloß“, sagte das eine Lama zu dem Mann und sah mich vorwurfsvoll an.


Das Trio drehte ab, ging in die andere Richtung, hinein ins Dunkel. Und ich, wieder allein, lief auch los, musste nun doch lachen über den Mann mit den beiden Lamas. Auch über mich. Hier angekommen, in dem Nest, unter mehr Bäumen als zweckdienlichen Straßenschildern, hatte der Taxifahrer nicht lange gefackelt, war an irgendeiner Ecke scharf in ein Sträßchen eingebogen, und das wars dann schon gewesen. „Feierabend“, hatte er gesagt, „bin zu Hause.“ Ja, da war nichts mehr zu machen, nicht einmal mit einem Schein, und als ich nicht aussteigen wollte, hatte er gesagt: „Wirds bald? Ich schlaf sonst auf der Stelle ein.“


Wieder Straße. Immer geradeaus. Bis ein Platz kam, der anscheinend keinen Namen hatte, links aber eine kleine Tankstelle. Auch dort kein Mensch. Kein Licht, kein Laut. Die Stadt schien Stromsperre zu haben.


Irgendwann rechts abbiegend, geriet ich in eine schieffluchtige Häuserzeile. Vor mir altstädtische Kleinheit, ein paar Laternen mit funzeligem orangefarbenem Licht, und unter den Schuhsohlen Kopfsteinpflaster. Sonst nur hohe, alte Bäume und Häuser, die Stofftieren ähnelten, ein Kirchturm, der was Gedrungenes, Untersetztes hatte.


Die Straße führte zurück zu dem Platz, den ich schon aus der Ferne erkennen konnte. Ich lief im Kreis. Hier konnte es unmöglich dorthin gehn, wo ich hin wollte, nämlich nach Stahnsdorf. Unentschlossen blieb ich stehen, und ich dachte, Kleinstädte haben ihre eigenen Gesetze; hier möchtest du wohl nicht begraben sein. Allein diese Rinnsteine, die, hochgedrückt von Baumwurzeln, eine einzige mittelalterlich anmutende Unordentlichkeit hatten. Während ich das näher in Augenschein nahm, hörte ich ein Geräusch, das von oben kam.


Welch eine Überraschung, nicht weit weg von mir hatte sich ein Fenster geöffnet, und ich dachte erfreut: Trotz Stromsperre ein städtisches Lebenszeichen. Ich winkte, eilte dem Geräusch entgegen mit schnellen Schritten, hatte schon rufbereit die Hände um den Mund gelegt, um zu erfragen, wo es nach Stahnsdorf gehe – da schob sich ins Nachtdunkel hinein ein Gegenstand, etwas Rundes, irgendwie Unpassendes, Irritierendes.